Außergewöhnliche Schlaf-Strategien aus dem Tierreich
Alle Lebewesen müssen schlafen, das ist aber auch schon der einzige Faktor, auf den Verlass ist. Denn die Art und Weise wie viele Tiere sich die benötigte Ruhephase holen, hat mit dem achtstündigen Nachtschlaf des Menschen oft so gar nichts gemeinsam. Viele Zugvögel-Arten sind beispielsweise tagelang ohne Zwischenlandung über dem offenen Meer unterwegs und können zwischendurch nicht einfach abschalten. Delfine, Haie oder auch Flusspferde schlafen unter der Wasseroberfläche, brauchen zwischendurch aber Sauerstoff. Und dann gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Tiere, die immer wachsam sein müssen, da sie ständig dem Risiko ausgesetzt sind, gefressen zu werden. Die Herausforderungen, an die sich das Schlafverhalten evolutionär angepasst hat, sind vielfältiger Art und entsprechend unterschiedlich fallen die Schlaf-Strategien der einzelnen Tierarten aus.
Enten sind wachsame Schläfer
Verweichlichte Toastbrot-Bettler im Stadtpark-Teich – von wegen, Stockenten traut man im allgemein wenig zu und schon gar keine besonders geistreiche Überlebensstrategie. Tatsächlich können sich die Tiere aber sehr gut selbst um ihr Überleben kümmern und das sogar im Schlaf…
Wie viel eine Ente schläft und wie lange am Stück richtet sich stark nach den Umweltbedingungen und dem Grad der Gefahr. Generell schlafen Enten etwa 8 Stunden am Tag und das in einer sicheren Umgebung, wie beispielsweise einem Zoo oder Tierpark auch mal ein halbes Stündchen am Stück. In der Natur sind es aber eher viele kurze Tages- & Nacht-Nickerchen, die oft nur ein paar Minuten dauern. Trotz der kurzen Powernaps schaffen es Enten, ausgeschlafen zu sein.
Enten schlafen, wenn möglich in Gruppen am Rande von Gewässern. Aus der ständigen Angst vor Fressfeinden hat die Evolution der Enten dabei eine ganz besondere Strategie hervorgebracht: Enten können mit halbseitig aktivem Gehirn und einem offenen Auge schlafen. Das bedeutet, eine Gehirnhälfte erholt sich, während die andere und das dazugehörige Auge Wache hält. Diese Schlaf-Strategie nennt man im Tierreich auch Halbseiten-Schlaf. Damit sich beide Gehirnhälften erholen können, findet während des Schlafens ein mehrmaliger Wechsel statt, gegebenenfalls dreht sich die Ente dabei auch mehrmals um, damit das offene Auge immer in Richtung der potenziellen Angriffsseite schaut.
Doch damit nicht genug, der Ornithologe Niels Rattenborg und sein Team von der Indiana State University konnten herausfinden, dass sich das Schlafverhalten der einzelnen Enten in einer Gruppe unterschiedet. Die Tiere, die am Rand einer Ententraube ruhen, sind besonders gefährdet und verbringen etwa 30 % der Ruhezeit im Halbseiten-Schlaf, wobei immer jene Seite wachsam ist, die von der Gruppe abgewandt ist. Die Tiere im Inneren der Gruppen schliefen laut den Ergebnissen der Studie hingegen etwa 90 % der Ruhezeit mit komplett geschlossenen Augen. Auch wechseln die Enten innerhalb der Traube regelmäßig die Position, damit jede Ente mal vom Schutz der Mitte und der vollständigen Ruhemöglichkeit profitieren kann. Damit die Ententraube nicht auseinandergetrieben wird, können sich die Tiere beim Schlafen sogar gegenseitig einhaken, indem sie ihre Schnäbel oder Hälse über die Schultern ihrer Nachbarn legen.
Das erstaunlichste Ergebnis der Studie war am Ende, dass Enten offenbar die Fähigkeit besitzen, ihr Schlafverhalten bewusst zu kontrollieren.
Weshalb Fledermäuse beim Schlafen nicht von der Decke fallen
Je nach Art schlafen Fledermäuse bis zu 20 Stunden am Tag, und zwar ähnlich wie bei uns Menschen, in Schlafzyklen aus Tiefschlaf und leichterem Schlaf. Je nach Art, Lebensraum und Jahreszeit kann dies jedoch stark variieren. Neben den insektenfressenden Fledermäusen, welche nachtaktiv sind, gibt es in tropischen Regionen Asiens oder Amerikas auch fruchtfressende Arten, die sowohl tagsüber als auch nachts unterwegs sein können.
Noch viel besonderer als die Schlaf-Dauer ist aber ihre Schlafposition, denn Fledermäuse schlafen kopfüber an der Decke oder Ästen hängend, dabei umhüllen sie ihren Körper mit ihren Flügeln wie eine Bettdecke.
Fledermäuse haben eine Anpassung in ihrem Blutkreislaufsystem, die verhindert, dass ihnen das Blut in den Kopf fließt, wenn sie kopfüber hängen. Wenn eine Fledermaus kopfüber hängt, erhöht ihr großes Herz einfach den Blutdruck, um sicherzustellen, dass das Blut weiterhin gleichmäßig durch den ganzen Körper fließt. Zudem verfügt ihr Körper über Venenklappen in den Blutgefäßen. Diese Klappen verhindern, dass das Blut unter Einfluss der Schwerkraft in den Kopf fließt. Die Klappen öffnen sich, um den Blutfluss zum Herzen zu ermöglichen, aber sie schließen sich, um ein Rückfließen des Blutes zu verhindern.
Festhalten tun sie sich an der Decke mit ihren Hinterbeinen, die mit fünf nach hinten gebogenen Krallen ausgestattet sind. Während sie schlafen, müssen sich die Tiere nicht etwa bewusst festkrallen, die Sehen an ihren Füßen sind mit einem Mechanismus namens "Tendonschloss" oder "Klick-Mechanismus" ausgestattet. Sobald eine Fledermaus ihre Zehen um eine Oberfläche wie eine Zweigspitze oder einen Ast klemmt, wird das Tendonschloss aktiviert. Dabei wird die Sehne so straff gespannt, dass sie sich nicht mehr von alleine entspannen kann. Sobald die Sehne gesperrt ist, müssen die Muskeln der Fledermaus nicht aktiv bleiben, um die Zehen zu krallen. Die Fledermaus kann sich also entspannen, ohne den Halt zu verlieren. Um die Zehen wieder zu lösen und sich zu bewegen, muss die Fledermaus ganz bewusst einen Muskel verwenden, um das Tendonschloss zu entsperren. Dadurch wird die Sehne gelockert und die Zehen können sich frei bewegen.
So können Fledermäuse auch während des Winterschlafs Tage und Wochen am Stück entspannt von der Decke baumeln, ohne, dass der Kopf rot wird oder es den Füßen anstrengend wird.
Delfine und Haie müssen während des Schlafens bewusst atmen
Delfine sind Säugetiere und haben keine Kiemen, unter Wasser einige Stunden ein Nickerchen halten und sich dabei unkontrolliert herumtreiben lassen, wäre für die Tiere also tödlich. Denn auch einen Atemreflex haben sie nicht, dann würden sie sich im Schlaf unter Wasser verschlucken. Ähnlich wie bei der Ente erholt sich ein Delfin daher ausschließlich im Halbseiten-Schlaf, wobei abwechselnd immer eine Gehirnhälfte aktiv bleibt und ein Auge offen, um das regelmäßige Auftauchen und Luftholen zu steuern – Unihemisphärischen Schlaf nennen Neurologen diese Art des Schlafens, da nur eine Hälfte (Hemisphäre) des Gehirns involviert ist. Während des Ruhezustands bewegt sich der Meeressäuger kaum, er hält jedoch sein Gleichgewicht und überprüft die sichere Position seines Körpers im Wasser regelmäßig, Mindestens alle 3-5 Minuten taucht er auf, um einen tiefen Atemzug zu nehmen. Dazu schlafen Delfine normalerweise an der Wasseroberfläche oder knapp darunter, wo der Weg zum Sauerstoff nicht weit ist. Anders als bei der Ente, die über Tag und Nacht verteilt meist viele Kurzschläfchen hält, wechseln Delfine Hirnhälfte und offenes Auge jedoch nur ca. 2 Stunden ab und schlafen so bis zu 6 Stunden lang mehr oder weniger am Stück. Um nicht ganz so wachsam sein zu müssen, schlafen Delfine bevorzugt in Gruppen und ziehen sich in ruhige Buchten mit wenig Strömung zurück.
Einige Hai Arten haben übrigens ein ähnliches Problem: Zum Atmen müssen sie zwar nicht auftauchen, jedoch in Bewegung bleiben, damit ausreichend Sauerstoff durch ihre Kiemen geleitet wird. Auch Thunfischen und Makrelen ergeht das so, jedoch müssen sich nicht alle Kiemenatmer kontinuierlich bewegen, um ausreichend Sauerstoff zu bekommen – vielen genügt bereits die natürliche Bewegung des Gewässers.
Elefanten sind sparsame Schläfer
Elefanten sind gemütliche und träge Tiere, die viel dösen? Von wegen, im Schnitt schlafen erwachsene Elefanten nur 2-4 Stunden und das nicht mal am Stück, sondern in unterbrochenen Etappen. Bis auf ca. eine Stunde, in der sie sich wirklich auf die Seite legen, verbringen sie diese kurzen Ruhephasen sogar im Stehen und dösen dabei eher, als dass sie schlafen.
Tatsächlich ist es so, dass große Tiere in der Regel deutlich mehr Schlaf benötigen als kleine. Ausnahmen bilden einige Wahl-Arten, doch der Elefant passt mit seinem Schlafverhalten durchaus in das übliche Muster. Wie der Zoologe Paul Manger im Chobe Nationalpark in Botswana herausfinden konnte, kommen Elefanten teils 48 Stunden ganz ohne Schlaf aus, ohne dabei Übermüdungserscheinungen zu zeigen.
Dieses sparsame Schlafverhalten lässt sich tatsächlich recht einfach erklären, denn um satt zu werden, verbringen die großen Pflanzenfresser bis zu 16 Stunden pro Tag mit der Futtersuche und dem Fressen – da bleibt kaum Zeit für Ruhe & Gemütlichkeit. Auch dass sich Elefanten zum Schlafen nur selten hinlegen, hat gute Gründe: Zum einen sind die Dickhäuter Flucht- & Herdentiere und ein Körpergewicht von 3-6 Tonnen lässt sich nicht so schnell aufrichten und in Bewegung setzen, wenn ein Raubtier angreift. Es ist aber auch davon auszugehen, dass den Tieren die Liegeposition unangenehm sein kann, da sie den Druck auf Organe und Knochen stark erhöhen kann, was ggf. auch das Atmen erschwert. Während sich Elefantenbabys und Kühe häufiger zum Schlafen hinlegen, kommt es bei den besonders großen und schweren Bullen vergleichsweise selten vor.
Übrigens haben auch Elefanten in der Gruppe ein Prinzip der Nachtwache entwickelt. So schlafen niemals alle Tiere gleichzeitig und die Tiere wechseln mehrmals pro Nacht die Rolle der Schlafenden und Wächter untereinander ab.
Zugvögel schalten zum Schlafen auf Autopilot
Über dem Atlantik kurz landen und ein Nickerchen machen ist keine Option, trotzdem fallen Zugvögel auf ihrer teils mehrere Wochen andauernden Reisen nicht übermüdet vom Himmel. Einige Zugvögel-Arten wie der Mauersegler landen auch nach ihrer Ankunft am Zielort so gut wie nie und verbringen außerhalb der Brutzeit 99 % ihres Lebens in der Luft. Wie schon bei den Enten hat der Ornithologe Niels Rattenborg auch das Schlafverhalten von Zugvögeln untersucht, in dem er Bindenfregattvögel mit GPS-Messgeräten ausrüstete. So konnte man herausfinden, dass die Vögel sehr wohl während des Fluges schlafen. Dazu nutzen sie meist die aufsteigende Thermik der Abendstunden, um sich in höhere Flughöhen hinauftragen zu lassen. Dort angekommen lassen sie sich von den Aufwinden tragen und schlafen, jedoch im Schnitt gerade mal 12 Sekunden am Stück und nie länger als sechs Minuten. Die Stellung ihrer Flügel passen Zugvögel während der Ruhephasen an. In dem sie diese leicht einklappen und die Thermik optimal nutzen, können sie stabil in der Luft bleiben und dabei Energie sparen. Trotz der kurzen Powernaps konnten die Forscher in dieser Zeit langsam wellige Tiefschlafphasen und sogar REM-Schlaf bei den Vögeln messen. Um weiterhin ihren Kurs zu halten und sich vor Gefahren in der Umgebung schützen, schlafen auch Zugvögel unterwegs wechselweise nur mit einer Gehirnhälfte und mit einem geschlossenen Auge. Das in Flugrichtung blickende Auge bleibt immer offen, auch um Zusammenstöße mit Artgenossen zu vermeiden. Laut den Forschungsergebnissen Rattenborgs holt der Bindenfregattvogel seinen Schlafentzug nach der Landung am Zielort allerdings nach und schläft dann teils 12 Stunden am Stück – ganz im Gegensatz zum Mauersegler, der dauerhaft mit rekordverdächtig wenig Erholung auszukommen scheint.
Rentiere essen im Schlaf
Mit dem Verdauungsschläfchen nehmen es Rentiere beim Wort. Wie ein Team der Universität Zürich mit der Schlafforscherin Melanie Furrer herausfinden konnte, nutze Rentiere ihre Zeit sehr effizient, in dem sie beim Wiederkäuen in einen Zustand verfallen, dessen Gehirnströme denen einer Tiefschlafphase ähneln. Tatsächlich haben Rentiere in der Arktis nämlich ein Zeitproblem: Während der Sommermonate, in denen es immer hell ist und viel Pflanzenmaterial verfügbar ist, müssen die Tiere möglichst viel fressen, um genug Fettreserven für den Winter aufzubauen. So grasen die Tiere im Sommer beinahe rund um die Uhr. Besonders das Wiederkäuen und die damit verbundene optimale Verwertung der Nährstoffe nimmt jedoch viel Zeit in Anspruch – durchschnittlich etwa 3 Stunden pro Tag. Im Sommer, wo mehr gefressen wird, dauert das Wiederkäuen aber natürlich entsprechend länger. Die Forscher konnten messen, dass sich die Tiere während dieses Vorgangs ausruhen, um in den Wachphasen mehr Zeit für die Aufnahme neuer Nahrung zu haben. Je länger die Tiere beim Wiederkäuen schliefen, desto weniger zusätzlichen Tiefschlaf brauchen sie. Unabhängig von den Nickerchen während des Wiederkäuens schlafen Rentiere übrigens immer ungefähr gleich lang, nämlich ca. 6 Stunden während der Nacht, egal zu welcher Jahreszeit.
Otter halten sich im Schlaf an den Händen
Otter schlafen häufig auf dem Rücken an der Wasseroberfläche. Dies ermöglicht es ihnen, leicht zu atmen, ohne sich viel bewegen zu müssen. Sie haben eine sehr dichte Fellstruktur, die sie vor der Kälte des Wassers schützt, und ihre Lungenkapazität ermöglicht es ihnen, für längere Zeit in dieser Position zu bleiben, ohne dass sie untergehen.
Otter schlafen insgesamt etwa 11 Stunden pro Tag, aber in mehreren kurzen Phasen, die über den Tag und die Nacht verteilt sind. Diese Schlafstrategie nennt man auch polyphasischer Schlaf. So können sie stets wachsam bleiben und flexibel auf Gefahren und andere Herausforderungen in ihrer Umgebung reagieren.
Tatsächlich halten sich Otter im Schlaf oft zu zweit oder in Gruppen an den Händen, dabei geht es jedoch nicht so sehr um körperliche Nähe als vielmehr darum, von der Strömung nicht auseinandergetrieben zu werden. Dieses Verhalten wird als „Rafting“ bezeichnet, bei dem sie sich zu Gruppen zusammenfinden und aneinander festhalten. Manchmal benutzen sie auch Algen oder Kelp, um sich im Wasser zu verankern, was ihnen zusätzlichen Halt gibt.
Der Gruppenschlaf bietet zudem eine gewisse Sicherheit, da es für Raubtiere schwieriger ist, einzelne Otter anzugreifen, auch die Kelpwälder bieten einen gewissen Schutz. Eine Strategie des Wachehaltens, wie etwas bei Enten oder den Erdmännchen gibt es bei Ottern zwar nicht, ihr Gehör und Geruchssinn sind im Schlaf jedoch immer aktiv. Falls sie eine Bedrohung wahrnehmen, sind sie so in der Lage, schnell zu reagieren und ins Wasser abzutauchen, um zu fliehen.
Neben dem Schlafen auf dem Wasser können Otter auch an Land schlafen. Dies ist bei Flussottern häufiger der Fall, die eher an Flüssen, Seen und anderen Süßwassergebieten leben. Sie ruhen sich oft in Höhlen, an den Ufern oder in geschützten Bereichen aus. Seeotter hingegen verbringen die meiste Zeit ihres Lebens im Wasser und schlafen daher vorwiegend auf der Wasseroberfläche, besonders in küstennahen Gebieten, wo Kelpwälder ihnen zusätzlichen Schutz bieten.